Insgesamt sind etwa 1,7 Millionen Menschen von den Folgen des Vulkanausbruchs betroffen: 86 Prozent haben ihre Lebensgrundlagen oder Geschäfte verloren. Nach dem Ausbruch wurden 12.823 Bewohner*innen der betroffenen Dörfer evakuiert. Aus Sicherheitsgründen können mehr als 3.300 Menschen nicht mehr in ihre Häuser zurück. Sie leben in Notunterkünften und Herbergen. Das departamento Escuintla hatte mit 14 Herbergen und 2.839 Untergebrachten nach der Katastrophe die meisten Betroffenen. AWO International hat unmittelbar nach dem Ausbruch gemeinsam mit Partnerorganisationen vor Ort über ein Jahr hinweg erste humanitäre Hilfsmaßnahmen eingeleitet und steht nun auch weiterhin mit einem zweijährigen Stabilisierungsprojekt an der Seite der betroffenen Menschen.
Psychosoziale Betreuung durch ECAP

Wenige Tage nach der Katastrophe hat unsere Partnerorganisation ECAP (Equipo de Estudios Comunitarios y Acción Psicosocial) ihre Arbeit in Escuintla aufgenommen. In der größten Herberge, die sich in der Schule José Martí befand, leisteten die Mitarbeiter*innen mit langjähriger Erfahrung psychosoziale Unterstützung für die Betroffenen.
Zwei Monate nach dem Ausbruch wurden die ersten Familien in die sogenannten ATUS (Albergues Transitorios Unifamiliares) umgesiedelt. Dies sind kleine, provisorische Holzhütten ohne Kochmöglichkeit, in denen die Familien voraussichtlich 18 Monate verbringen werden, bis die dauerhafte Siedlung in der Finca La Industria fertig gestellt ist. Auch hier unterstützt ECAP weiterhin die betroffenen Familien durch psychosoziale Betreuung: In Einzel- und Gruppensitzungen werden die traumatischen Erfahrungen der Betroffenen und auch ihre Trauer um verlorene Familienmitglieder und Freunde bearbeitet. Später soll der Blick stärker auf die Zukunft gerichtet werden. Das bedeutet, dass die Entscheidungsfähigkeit gestärkt wird, um das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen. Dafür braucht es gegenseitige Unterstützung in den Familien und in der gesamten Gemeinde, gemeinsame Projekte und auch neue Lebensgrundlagen. Des Weiteren wird in den Sitzungen ein Schwerpunkt auf Gewaltprävention gelegt, da besonders Frauen und Kinder in den Herbergen und ATUS vermehrt Opfer von häuslicher Gewalt wurden. Neben häuslicher Gewalt und familiären Konflikten stieg auch das Konfliktpotenzial zwischen den Bewohner*innen in den ATUS, da ein permanenter Platzmangel in der Siedlung herrscht und die Privatsphäre stark eingeschränkt ist: Eine Vielzahl an Familien musste sich eine Kochstelle teilen und auch für das Wäschewaschen gibt es bestimmte Zeitfenster für jede Familie.
Arbeiten mit einer Genderperspektive
Ein besonderes Augenmerk des Projekts liegt auf der Arbeit mit Frauen, da sie sich in einer besonders vulnerablen Situation befinden. Guatemala ist speziell in ländlichen Regionen noch eine sehr patriarchische Gesellschaft, in welcher die Frauen wenig bis kaum Entscheidungsmöglichkeiten haben. Oft werden die Frauen von ihren Familienmitgliedern oder Ehemännern unterdrückt. Auch häusliche Gewalt ist keine Seltenheit. Durch die außerordentliche Lebenssituation, mit der sich die Betroffenen des Vulkanausbruchs nun konfrontiert sehen, stieg die häusliche Gewalt. Der Platzmangel, das Fehlen von Privatsphäre sowie eines sicheren Arbeitsplatzes führen zu Frustration – die Opfer dieser Frustration sind oftmals die Frauen. ECAP möchte daher besonders mit Frauen und Gemeindevertreter*innen arbeiten und diese in Gender-Rechten ausbilden, um ein gewaltfreies Leben für die Bewohner*innen der ATUS sicherzustellen und vor allem die häusliche Gewalt zu bekämpfen. Auch fördert ECAP die Teilhabe von Frauen an Entscheidungen, um Forderungen durchzusetzen, die speziell für die Frauen von Wichtigkeit sind, aber auch damit sie in ihren Familien mehr Anerkennung finden.
Das Stabilisierungsprojekt: Gemeindestrukturen stärken

Mittlerweile konnten die ersten Familien in einer der tausend Häuschen einziehen, die die Regierung für die Betroffenen bauen ließ. Die Arbeit von ECAP ist durch den Umzug der Bewohner*innen aber noch lange nicht beendet. Das humanitäre Projekt wird um zwei Jahre als Stabilisierungsprojekt verlängert. Hierbei wird die psychosoziale Betreuung der Betroffenen des Vulkanausbruchs fortgesetzt, mit dem Schwerpunkt auf die Anpassung an die neue Lebenssituation. Die Betroffenen werden in Gruppensitzungen auf die Umstellungen vorbereitet. Doch auch mit dem Umzug von den kleinen Holzhütten in stabile Häuser, sind die Konflikte, die in der Siedlung anschwellen, noch nicht beigelegt. Neben seiner eigentlichen psychosozialen Betreuung gehört daher auch die Konfliktbewältigung zu den Aufgaben unseres Partners ECAP. Die Bewohner*innen sollen in verschiedenen Aspekten des Gemeindewesens geschult werden. Sie sollen lernen, sowohl Konflikte zu bewältigen, als auch offen über Gemeindeprobleme zu verhandeln und zu sprechen sowie aufkommende Probleme zu lösen. Auf diese Weise sollen die neuen Gemeindestrukturen, die durch die Finca La Industria entstanden sind, gestärkt werden und eine wirkliche Gemeinschaft entstehen. Wie schon in der vorherigen Projektphase sollen auch weiterhin die Rolle der Frauen in der Gemeindearbeit gestärkt werden und besonders über ihre Rechte informiert werden. Gleichzeitig ist auch die Katastrophenvorsorge ein wichtiger Schwerpunkt, damit die Bewohner*innen in Zukunft auf auftretende Notfälle vorbereitet sind und wissen, wie sie zu handeln haben.
Projektinfo
Projekt | Partizipativer Gemeinschaftsaufbau mit den vom Ausbruch des Vulkans Fuego betroffenen Gemeinden „Die Gemeinde als Raum für den Wiederaufbau eines neuen Habitats“ |
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Ort/Region | Gemeinde Escuintla, Guatemala |
Partner | Equipo de Estudios Comunitarios y Acción Psicosocial (ECAP) |
Zielgruppe | Vom Ausbruch des Vulkan Fuego betroffene Personen in den ATUS und den Häusern der Finca La Industria in Escuintla, Gemeindevertreter*innen der Finca |
Aktivitäten |
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Laufzeit | Juli 2019 bis Dezember 2021 |
Budget | 55.591 p.a. |
Förderer | Aktion Deutschland Hilft |