Der Kreis Ahrweiler gilt als das am schwersten vom Hochwasser betroffene Gebiet: Die sonst so beschauliche Ahr schwoll bis auf über sieben Meter an. Tausende Menschen verloren ihr Zuhause, und allein im Ahrtal kamen 134 Menschen ums Leben. Mit dem Fluthilfeteam der AWO, ehrenamtlichen Helfer*innen und Betroffenen haben wir im März bei unserem Besuch über die täglichen Herausforderungen im Flutgebiet und die Hilfe vor Ort gesprochen.
AWO-AnsprechBar – Finanzielle Unterstützung und Beratung vor Ort
Um den Betroffenen schnell finanzielle Hilfen zukommen zu lassen, waren die mobilen AWO-Beratungsteams nach dem Hochwasser direkt in den Flutgebieten im Kreis Ahrweiler unterwegs. Dort halfen sie, die Soforthilfeanträge auszufüllen. So konnten unbürokratisch 5 646 550 Euro Soforthilfen an 3372 Haushalte ausgezahlt werden. Bereits während der Soforthilfe-Phase wurden auch erste Beratungsgespräche geführt, erzählt Elvin, Migrationsberater im AWO-Hochwasserteam: „Einige der Migrant*innen haben Fluchterfahrungen und damit eine doppelte Belastung. Vieles hier erinnert an Kriegszustände, was sehr belastend für diese Menschen ist.“
Um auch längerfristig eine Möglichkeit zu haben, vor Ort Beratungen durchzuführen, wurde im Dezember die AWO-AnsprechBar eröffnet. „Direkt unterstützen können wir hier etwa, wenn es um verschiedenste Anträge geht. Wir können vielen Menschen die Kommunikation anbieten, wenn sie zum Beispiel überfordert sind oder all ihre Unterlagen verloren haben“, erzählt Lina, Beraterin im AWO-Hochwasserteam. Oft geht es auch darum, zuzuhören und zu zeigen, dass niemand mit seinen Sorgen allein gelassen wird. „Wenn man den Menschen Mut machen und ihnen aufzeigen kann, was es noch für Unterstützungsmöglichkeiten gibt, dann gibt es viel Dankbarkeit zurück.“
Zusätzlich organisiert das Hochwasserteam für die Kinder- und Jugendlichen im Ahrtal ein Freizeitprogramm: von Spieletonnen in den Wintertreffs über Bastel- und Trommelworkshops bis zum Familientag auf der Sommerrodelbahn oder in einer Eisdisco.
Wintertreffs – Orte der Begegnung im Ahrtal
Mit dem ersten Schritt in das bunt und liebevoll eingerichtete Zelt schlagen einem Herzlichkeit, leckerer Essensduft und angeregtes Murmeln entgegen. Sofort ist klar: Hierher kommt niemand nur, um sich mal eben ein warmes Essen abzuholen. Christiane Thul Steinheuer ist die gute Seele des Treffs am Nelkenweg: „Ich bin seit dem 15. Juli im Einsatz. Südlich der Ahr gab es keinen Bäcker und keinen offenen Supermarkt. Ich begann, mit meinem Bollerwagen durch die Gassen zu fahren und Kaffee und Süßes zu verteilen. Lange roch es hier nach Fäulnis, Fäkalien und Diesel. Später habe ich zu Hause Mahlzeiten gekocht und verteilt.“ Später gab es viele Sachspenden, und Christiane verköstigte mit anderen Freiwilligen bis zu 1500 Betroffene und Helfer*innen: „Damals haben wir unter Camping-Bedingungen vor allem Dosen gewärmt und Getränke ausgegeben. Doch im Herbst wurde es kalt und es regnete oft. Viele Menschen hatten Atemwegsbeschwerden, waren allein und ratlos.“ Im Oktober machte die Stadt Bad Neuenahr die Essensausgabe zum Wintertreff, und AWO und Aktion Deutschland Hilft finanzierten neben zwei großen beheizten Zelten auch ein professionelles Catering.
Finchen ist 91 Jahre alt und Christianes rechte Hand bei der Bewirtschaftung des Wintertreffs. In der Flutnacht hing sie an ein Fenstergitter geklammert in den Fluten. „Finchen ist jeden Tag die Erste hier und hilft bei der Essensausgabe. Sie ist immer gut drauf; letzte Woche haben wir hier ihren Geburtstag gefeiert“, berichtet Christiane.
Peter, der regelmäßig mit seiner Frau Ingrid zum Essen in den Nelkenweg kommt, erzählt uns, dass er durch den Wintertreff so einige gute Tipps in Erfahrung bringen konnte. „Es war ja nichts, wirklich gar nichts mehr da. Kein einziger Stift, kein einziger Handschuh … Da war es schon toll, hier im Nelkenweg einfach in die Runde fragen zu können – und irgendwer hatte immer genau das fehlende Gerät da oder kannte jemanden, der es organisieren konnte.“ Auch die Gespräche mit Bekannten und Nachbar*innen halfen ihm und seiner Frau sehr dabei, die schrecklichen Ereignisse der Flutnacht und die belastende Zeit danach zu verarbeiten.
Die großen und kleinen Sorgen sind hier bekannt. Mittlerweile ist längst eine Gemeinschaft entstanden, die sich gegenseitig unterstützt und berät. Christiane hat eine WhatsApp-Gruppe mit mittlerweile 85 Teilnehmer*innen, in der der Menüplan und neue Hilfsangebote verbreitet werden. „Acht Monate nach der Flut sind immer noch wenige Geschäfte offen, und viele Menschen fühlen sich allein gelassen. Unsere Mahlzeiten geben einen Rhythmus. Die meisten Leute bleiben mehrere Stunden, um sich auszutauschen.“
Ende April liefen die kostenfreien Essen in den Wintertreffs aus, dennoch unterstützt das AWO-Team weiterhin die Bevölkerung im Ahrtal. „Wir wollen weiterhin Treffpunkte ermöglichen, bei denen soziale Netze selbst organisiert vertieft werden können, während zeitgleich langsam der Alltag wieder in den Vordergrund rückt“, erzählt Rebecca, Sozialarbeiterin im AWO-Hochwasserteam. Daher bleibt der Wintertreff Nelkenweg bestehen, öffnet aber nicht mehr jeden Tag. Das Team der AWO Rheinland organisiert dort weiterhin einmal wöchentlich eine Nachmittagsveranstaltung. Das es weitergehen muss, ist auch für Christiane klar: „Der Nelkenweg ist längst mehr als ein Wintertreff und muss auch in Zukunft das ganze Jahr über bestehen bleiben. Wir sind eine Gemeinschaft und brauchen diesen Platz zum Austausch. Wenn es einmal keine Finanzierung mehr gibt, machen wir aus eigener Kraft weiter.“