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Zivile Seenotrettung im Mittelmeer

Seit Februar 2016 unterstützen wir SOS HUMANITY (ehemals: SOS MEDITERRANEE), um Menschen in Seenot zu retten. Die Bilanz bestätigt, wie dringend notwendig die Einsätze im Mittelmeer sind: Mehr als 31.000 Menschen wurden bisher gerettet, an Bord versorgt und in sichere Häfen gebracht.

Die Crew der Ocean Viking bei einem Rettungseinsatz im Mittelmeer (Foto: Laurence Bondard/SOS MEDITERRANEE)
Die Crew der Ocean Viking bei einem Rettungseinsatz im Mittelmeer (Foto: Laurence Bondard/SOS MEDITERRANEE)

Das Mittelmeer hat sich zu einer der Hauptfluchtrouten für Flüchtende nach Europa entwickelt. Und zu einer der gefährlichsten und tödlichsten: Laut UNHCR sind 2018 pro Tag statistisch gesehen sechs Menschen, also insgesamt mehr als 2.100, im Mittelmeer ertrunken. Die Dunkelziffer fällt jedoch weitaus höher aus. „Tausende Menschen fliehen vor Krieg und Gewalt und sterben, weil Europa wegsieht. Es ist unsere humanitäre Pflicht, diesen Menschen zu helfen. Deshalb unterstützen wir SOS MEDITERRANEE“, so Ingrid Lebherz am 4. Februar 2016 bei der Verabschiedung der Aquarius in Bremerhaven. Bis Oktober 2018 war die Aquarius in internationalen Gewässern vor der lybischen Küste im Einsatz. Seit August 2019 ist das Team mit dem Rettungsschiff Ocean Viking auf See.

Wir werden dort dringend gebraucht!

Woche für Woche rettet das Team von SOS MEDITERRANEE Menschenleben. Die Bilanz seit Februar 2016: In unzähligen Rettungseinsätzen wurden mehr als 19 000 Menschen aus akuter Seenot gerettet und mehr als 31 000 Menschen an Bord versorgt. Mehrere Babys kamen an Bord der Aquarius zur Welt (Stand: Dezember 2019). „Die Flüchtenden auf den Schlauchbooten sind stark geschwächt und unterkühlt. Sie halten es rund 13 bis 15 Stunden auf See aus, dann ist die Gefahr, dass sie sterben sehr hoch. Mit unserer Spezialausrüstung und einer gut ausgebildeten 35-köpfigen Besatzung können wir auch Rettungen in komplizierten Situationen durchführen", so Rettungskoordinator Nicola Stella.

An Bord werden die Geflüchteten medizinisch und psychologisch betreut. Sie berichten über die Hintergründe ihrer Flucht, über die Überfahrt auf überfüllten und seeuntauglichen Booten, von denen es kaum eines nach Italien schaffen würde, und sie erzählen über das Grauen, das sie in Libyen erlebt haben. Es sind Geschichten des Schreckens, stellvertretend für das Leid vieler. Krieg, Gewalt, Verfolgung, Armut und Perspektivlosigkeit sind die Hauptgründe für eine Flucht. Viele Menschen sehen keinen anderen Ausweg, als ihr Leben zu riskieren und zu probieren, nach Europa zu kommen. In Libyen angekommen, erleben die Menschen die schrecklichste Phase ihrer Flucht. Sie werden dort wie Sklav*innen gehalten. Sie werden ausgebeutet, erpresst, geschlagen, vergewaltigt – oder einfach getötet. „Ich bin erleichtert, dass wir Menschen retten konnten, aber zugleich bin ich tief erschüttert über das, was die Geflüchteten erleiden mussten“, so Klaus Vogel, Gründer von SOS MEDITERANEE und ehemaliger Kapitän der MS Aquarius.

Seenotrettung ist kein Verbrechen

Die Diskussionen um die zivile Seenotrettung nehmen nicht ab: Humanitäre Helfer*innen werden diffamiert und kriminalisiert, Rettungsschiffe zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisation werden durch die Behörden festgesetzt oder beschlagnahmt – und verhindern damit, dass Menschen in Seenot gerettet werden. Mit Folgen: Allein im Juni 2018 ertranken mehr als 600 Menschen.

Die Vorwürfe, dass die privaten Seenotretter*innen den Schleusern in die Hände spielen, erweisen sich als haltlos. Auch der sogenannte Pull-Effekt – also, dass durch die zivile Seenotrettung mehr Menschen fliehen oder dazu animiert werden – wurde zum Beispiel durch eine Studie der Oxford-Universität oder der Untersuchung „Blaming the rescuers“ der an der Universität von London angesiedelten Initiative Forensic Oceanography widerlegt. Die zivile Seenotrettung ist keine Ursache dafür, dass Menschen fliehen, sondern eine Reaktion auf das Massensterben im Mittelmeer. Es ist auch eine Reaktion auf die Verantwortungslosigkeit der europäischen Regierungen, die auf das Sterben im Mittelmeer keine adäquate Antwort gefunden haben. Statt sichere und legale Alternativen für die Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Ausbeutung fliehen, zu schaffen, setzt Europa auf Abschreckung und nimmt dabei Tote in Kauf.

Libyen ist kein sicherer Hafen

Seit Ende Juni 2018 hat Libyen eine eigene SAR-Zone (Search and Rescue), die von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) anerkannt wurde. Italien hat die Koordination der Rettungseinsätze an Libyen übergeben. Europa unterstützt die sogenannte libysche Küstenwache logistisch und mit Geld: 46 Millionen Euro fließen bis 2020 nach Libyen mit dem Ziel, den „Aufbau der Seenotrettungsfähigkeiten“ voranzutreiben: EU-Grenzsicherung um jeden Preis.

Aber ist Libyen ein sicherer Hafen? Seit dem Sturz von Gaddafi im Jahr 2011 gibt es keinen funktionierenden Staat in Libyen, das Land fällt ins Chaos. Es ist ein zerrissenes Bürgerkriegsland, in dem rivalisierende Parteien um die Macht kämpfen und lokale Milizen ganze Regionen beherrschen. Kann Europa es verantworten, einem Bürgerkriegsland wie Libyen, in dem keine Rechtsstaatlichkeit herrscht, die Seenotrettung zu überlassen? In einem Land, in dem Migrant*innen wie Sklaven gehalten werden und auf Märkten verkauft werden?

Geflüchtete beschreiben ihre Zeit in Libyen als „Hölle auf Erden.“ Was sie erleben, ist kaum in Worte zu fassen: Sie werden ausgebeutet, versklavt, vergewaltigt oder einfach erschossen. SOS MEDITERRANEE dokumentiert die Schicksale der geflüchteten Menschen. Ihre Berichte bezeugen, dass Libyen eines nicht ist: ein sicherer Hafen. Und auch die Erfahrungen der zivilen Rettungsorganisationen zeigen, dass die sogenannte libysche Küstenwache offensiv und mit Waffengewalt Rettungseinsätze in internationalen Gewässern verhindern wollte bzw. auch für Todesfälle verantwortlich ist. Diese libysche Küstenwache rekrutiert sich zudem oftmals aus lokalen Milizen, die selbst Kontakte zu Schleppern haben.

Menschenleben sind nicht verhandelbar

Weiterhin stehen die Helfer*innen in der Kritik und müssen sich für ihre Arbeit rechtfertigen. Gibt es tatsächlich eine Mehrheit in der Bevölkerung, die Menschenrechte und die Menschenwürde zur Disposition stellt? Umfragen zeigen, dass 3 von 4 Menschen in Deutschland es richtig finden, dass zivilgesellschaftliche Organisationen Flüchtende im Mittelmeer retten. Die Meinungen darüber, was anschließend mit den Geflüchteten passieren soll, gehen auseinander. Die Zahlen zeigen aber, dass Solidarität und Menschlichkeit weiterhin die Basis unserer Gesellschaft sind. Die Aktion Seebrücke – eine Bewegung, getragen von verschiedenen Akteur*innen der Zivilgesellschaft - hat in über 100 Städten mehrere Tausende Menschen auf die Straße gebracht, die für die Rettung von Flüchtenden auf dem Mittelmeer protestieren.

Die Rettung von Menschenleben ist kein Verbrechen, sondern unsere humanitäre Pflicht. Dafür stehen wir als AWO International. Deshalb unterstützen wir die zivile Seenotrettung. Die Menschenwürde ist unantastbar – das gilt selbstverständlich auch für Menschen, die auf der Flucht sind, unabhängig davon, was die Ursachen und Gründe der Flucht sind.

AWO International und die AWO als Gesamtverband gehören zu den Unterstützer*innen der ersten Stunde: Als sich SOS MEDITERRANEE 2015 gründete, gehörte Wilhelm Schmidt, Vorsitzender des Präsidiums der Arbeiterwohlfahrt, zu den Erstunterzeichnern eines offenen Briefes zur Unterstützung der Initiative. Er bat uns zu prüfen, welche Möglichkeiten AWO International hat, die Seenotrettung zu unterstützen. Seitdem steht AWO als institutioneller Partner an der Seite von SOS MEDITERRANEE. Unterstützt werden wir dabei von unseren Mitgliedern und Spender*innen.

Unsere Forderungen

  • Die zivile Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden, denn es ist humanitäre Pflicht Menschen in Seenot zu retten
  • Wir fordern von den europäischen Regierungen, sichere und legale Fluchtwege zu schaffen und Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten
  • Wir fordern sichere Häfen und eine menschwürdige Aufnahme von Geflüchteten
  • Wir fordern eine Ausweitung der zivilen Seenotrettung auf dem Mittelmeer und die Etablierung von Such- und Rettungsmechanismen der europäischen Staaten, damit nicht noch mehr Menschen im Mittelmeer sterben

Aktualisiert im Mai 2020.

Unsere FAQ zur Seenotrettung im Mittelmeer

Projektinfo

Projekt Zivile Seenotrettung im Mittelmeer
Ort/Region Mittelmeer, Seegebiet zwischen dem Süden Italiens und Libyen
Partner SOS MEDITERRANEE
Aktivitäten
  • Rettung flüchtender Menschen auf dem Mittelmeer
  • Advocacy- und Öffentlichkeitsarbeit auf deutscher und europäischer Ebene
Laufzeit seit 2016; seit 2020 über das ADH Konsortium: ADRA Deutschland e.V., Islamic Relief Deutschland e.V. (IR); Zentralwohlfahrtsstelle der Juden In Deutschland e.V. (ZWST), Der Paritätische Wohlfahrtsverband, HelpAge Deutschland e.V.
Budget 100.000 €
Förderer Eigenmittel, Aktion Deutschland Hilft

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