Herr Starke, welche konkreten Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Arbeit von SOS MEDITERRANEE?
Wir mussten uns schweren Herzens dazu entscheiden, unseren Rettungseinsatz mit der Ocean Viking im Mittelmeer bis auf Weiteres zu unterbrechen. Das ist ein großes Dilemma. Auf der einen Seite ist die Sicherheit unseres Einsatzes auf See, unserer Kolleg*innen an Bord und natürlich der geretteten Menschen unsere oberste Priorität. Gleichzeitig fliehen weiterhin Menschen von Libyen übers Mittelmeer, und niemand ist vor Ort, um zu bezeugen, wie die Situation ist und was passiert.
Wo befindet sich die Ocean Viking gerade?
Die Ocean Viking liegt seit dem 20. März in Marseille. Wir konnten Ende Februar noch 276 zuvor aus Seenot gerettete Menschen in Pozzallo, Sizilien, sicher an Land bringen. Danach musste sich die Crew zwei Wochen an Bord in Quarantäne begeben. Weil in dieser Zeit kein Crewmitglied Symptome von COVID19 zeigte, durfte die Besatzung anschließend an Land. Die italienische Gesundheitsbehörde desinfizierte das gesamte Schiff und versiegelte es für zwei Tage.
Was passiert jetzt?
Nach der Quarantäne hatten wir einen Crewwechsel, das Team ist frisch und einsatzbereit auf dem Schiff. Gleichzeitig nutzen wir die Zeit, um in Marseille Lebensmittel und Medikamente liefern zu lassen und auf der Ocean Viking einzulagern.
Ihr plant also, in naher Zukunft wieder zu starten?
Wir planen, so bald wie möglich in den Rettungseinsatz auf See zurückzukehren. Wir wissen über die äußerst schwierige Lage der europäischen Küstenstaaten und sprechen unsere uneingeschränkte Solidarität mit allen Rettungsdiensten aus. Trotz dieser angespannten Situation: Kein Mensch darf im Mittelmeer ertrinken, und es ist die Verantwortung der Europäischen Union, Seenotrettung sicherzustellen.
Wie bereitet ihr euch auf zukünftige Einsätze vor?
Durch die Zusammenarbeit mit „Ärzte ohne Grenzen“ haben wir erfahrene Partner im Umgang mit Pandemien an unserer Seite. An Bord der Ocean Viking haben wir strenge Vorschriften und Richtlinien für die Einhaltung von Hygienestandards. Gleichzeitig haben wir ein Isolationsprotokoll, das bei entsprechenden Symptomen eines Passagiers oder einer Passagierin in Kraft tritt. Wir sind sehr gut vorbereitet, im Falle einer CoronavirusInfektion im Sinne der Gesundheit des*der Erkrankten sowie im Sinne aller Beteiligten zu handeln. Zudem sind wir im Gespräch mit den Behörden und Außenministerien, bewerten stetig das Risiko für unsere Mitarbeiter*innen und arbeiten mit Hochdruck daran, schnellstmöglich wieder rauszufahren.
Werden die europäischen Küstenstädte auch in Zeiten der Corona-Krise als sichere Häfen dienen?
Die Europäische Union hat beschlossen, ihre Außengrenzen zunächst für dreißig Tage zu schließen. Dadurch haben wir keine Sicherheit, dass wir gerettete Menschen in sichere Häfen bringen können. Andererseits hatten wir diese Sicherheit nie. Auch die MaltaVer einbarung, nach der gerettete Menschen in Italien und Malta an Land gebracht und von EUStaaten aufgenommen werden sollen, war für uns eine sehr unzuverlässige Absprache. Allerdings werden wir trotz der aktuellen Lage in Deutschland nicht müde, die politischen Entscheidungsträger*innen an ihre Verantwortung zu erinnern: Seerecht und damit Völkerrecht muss zu jeder Zeit eingehalten werden. Leben retten ist Pflicht – auch auf dem Mittelmeer! Darauf fokussieren wir unsere Arbeit in Deutschland – davon kann uns auch das Coronavirus nicht abhalten.
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Seit 2015 unterstützen wir die europäische Seenotrettungsorganisation SOS MEDITERRANEE, damit Menschen auf ihrem gefährlichen Weg von Libyen nach Europa aus der Seenot gerettet werden. In den letzten fünf Jahren konnte die Crew insgesamt 31 618 Menschen retten und in sichere Häfen bringen.