Die Zivilgesellschaft sucht einen friedlichen Ausweg aus der Situation. Einer der Mechanismen, die hierfür eingesetzt werden, ist der Nationale Dialog unter der Leitung der Bischofskonferenz. Wie entwickelt sich dieser Nationale Dialog derzeit?
Die Zivilgesellschaft setzt sich für ein System ein, in welchem die Gerechtigkeit und Demokratie in Nicaragua vorherrschen sollen. Die Schritte, die für ein „Neues Nicaragua“ eingleitet werden müssen, sollen im Nationalen Dialog besprochen werden. Jedoch verweigert die Regierung ihre Beteiligung an dieser Plattform. Ortega ist nicht damit einverstanden, dass die Bischofskonferenz als Moderator und Zeuge der Verhandlungen eingesetzt wird, da er sie als Institution, welche einen Putsch plant, betrachtet. Ortega bezeichnet die Bischofskonferenz als Putschisten auf Grundlage eines Dokumentes, welche sie am 7. Juni vorgelegt hat. Dabei handelt es sich um eine Zusammenfassung der Aspekte, die bis dahin im Rahmen des Nationalen Dialogs unter Beteiligung von Vertreter*innen der Zivilgesellschaft sowie der Regierung besprochen wurden. Dieser Bericht konzentriert sich auf den Demokratisierungsprozess, welcher in Nicaragua eingeläutet werden soll, und in diesem Rahmen werden in dem Dokument auch vorgezogene Neuwahlen im März 2019 angesprochen. Wenn dies für die Regierung als Argumentation ausreicht, um die Bischofskonferenz für Putschisten zu deklarieren, müsste sie auch die Internationale Menschenrechtskomission, die Organisation Amerikanischer Staaten sowie die Europäische Union als Putschisten bezeichnen, da sie alle den Nationalen Dialog befürworten und sich für eine schnelle und friedliche Lösung des Konfliktes aussprechen.
Die Situation, in der sich Nicaragua derzeit befindet, und welche nicht nur das Land, sondern die gesamte Region betrifft, braucht dringend Maßnahmen, die eingeleitet werden, um die politische, soziale und ökonomische Stabilität des Landes zu garantieren. Der derzeitige Präsident ist hierzu nicht in der Lage, da er die Anschuldigung, für eine Vielzahl an Delikten verantwortlich zu sein, auf seinen Schultern trägt. Ich bin der Meinung, dass die Kirche ein zentrales Element dafür ist, dass sich der Konflikt friedlich zuträgt und sich nicht in einen militärischen Konflikt umwandelt. Niemand im Land möchte erneut einen Krieg erleiden. Die nicaraguanische Bevölkerung sucht mithilfe des Nationalen Dialogs einen friedlichen Ausgang des Konfliktes.
Zu Beginn der Proteste zog die Bevölkerung auf die Straßen, um die Rücknahme der Sozialreform zu fordern. Jedoch haben sich die zivilgesellschaftlichen Forderungen im Laufe des Konfliktes verändert. Was fordert die Zivilgesellschaft heute?
Vier Tage nach den ersten Protesten zwischen dem 18. und 22. April dieses Jahres zog Ortega selbst die Sozialreform zurück. Nichtsdestotrotz hatten sich in diesen Tagen bereits zahlreiche Verbrechen zugetragen, mehrere Menschen waren bereits als Folge der Repression der Polizei und paramilitärischen Gruppen ums Leben gekommen. Diese Verbrechen sollen nicht ungestraft bleiben, sodass sich die Bevölkerung dazu entschied, auf die Straßen zu ziehen und sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Dieser Protest hält nun bereits seit mehr als 100 Tagen an und im Laufe des Konfliktes haben wir die folgenden Forderungen formuliert:
- Wir fordern, dass die begangenen Straftaten – über 400 Morde ausgehend von der Polizei und den paramilitärischen Gruppen – untersucht werden und dass die hierfür verantwortlichen Personen identifiziert und zur Rechenschaft gezogen werden.
- Wir verlangen, dass die Polizei die Verfolgung, Festnahme, Isolation und Folter der Jugendlichen und der gesamten Bevölkerung aller Altersgruppen mit sofortiger Wirkung einstellt.
- Wir fordern die Entwaffnung und Auflösung der paramilitärischen Gruppen sowie ein Gerichtsverfahren und deren Verurteilung für die durchgeführten Festnahmen, Folter, Morde und Vergewaltigungen.
- Wir verlangen, dass die geheimen Folterzentren lokalisiert und zerstört werden.
- Wir fordern, dass die politischen Gefangenen, welche willkürlich und auf brutale Art und Weise festgenommen wurden, mit sofortiger Wirkung freigelassen werden.
- Wir verlangen, dass die 15 Empfehlungen der Internationalen Menschenrechtskommission umgesetzt werden.
- Zudem verlangen wird, dass die Vereinbarungen, welche im Rahmen des Nationalen Dialogs getroffen werden, umgesetzt werden.
- Wir fordern, dass der Nationale Dialog mit Beteiligung der Bischofskonferenz sowohl als Moderator sowie als Zeuge fortgesetzt wird.
Wie denkst du, dass sich die Situation in Nicaragua weiter entwickeln wird unter der Berücksichtigung der jüngsten Geschehnisse?
Das Land wird die wirtschaftliche Situation, in der wir uns als Folge der gesellschaftlichen Entwicklung befinden, bald nicht mehr aushalten. Die Verweigerung Ortegas, den Dialog zu suchen sowie die Empfehlungen der Internationalen Menschenrechtskommission zu respektieren und umzusetzen, sowie die Tatsache, dass er das Blut im Land fließen lässt und Terror kreiert, haben dazu geführt, dass wir uns in einer wirtschaftlich untragbaren Situation befinden. Es kam zu zahlreichen Kündigungen seitens des Privatsektors sowie der Regierung selbst. Vor zwei Monaten wurde ein Bericht veröffentlicht, aus dem hervorging, dass seit dem 18. April 212.000 Menschen ihre Arbeit verloren haben. Zahlreiche Firmen schließen bereits und verlegen ihren Firmensitz nach Honduras oder Costa Rica.
Zudem müssen wir uns die Frage stellen, ob wir es weiterhin aushalten werden, uns in unseren Häusern einzuschließen. Die Mehrheit der Bevölkerung verbarrikadiert sich in ihren Häusern aus Angst auf der Straße von den paramilitärischen Gruppen festgenommen oder sogar umgebracht zu werden. Wir leben im Zustand des Terrors.
Dennoch ist es nicht die Zeit, welche den Ausgang der Situation bestimmen wird, sondern das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, die derzeit die Lage Nicaraguas bestimmen. Dazu gehören die nationalen Protestbewegungen, aber auch wirtschaftliche Faktoren sowie der Druck, welcher von internationalen Institutionen sowie anderen Regierungen auf die Ortega-Regierung ausgeht. Wenn das Zusammenspiel dieser Faktoren harmoniert, können wir eine Militarisierung des Konfliktes verhindern und ein Land gestalten, welches von Gerechtigkeit und Demokratie bestimmt wird.
Hier gibt es mehr Infos über unsere Projektarbeit in Nicaragua.